Wir erinnern… an die NS-Verbrechen. Mit Anita Awosusi und Mirjam Wenzel
Shownotes
Shoah und Porajmos sind im deutschen kollektiven Gedächtnis fest verankert. Doch das war nicht immer so, und die Gegenwart wirft neue Fragen auf. Wie hat sich die Erinnerung an den Völkermord an den Juden*Jüdinnen, Sinti*zze und Rom*nja in Deutschland entwickelt und wo steht sie heute? In der ersten Folge der Podcastreihe „Wir erinnern“ sprechen wir über das seit den 1980er Jahren wachsende historische Bewusstsein für die nationalsozialistische Vernichtungspolitik gegen die jüdische und Sinti und Roma-Bevölkerung Europas und beleuchten die zentrale Rolle der Jüdischen Museen in Frankfurt/Main und Berlin sowie des Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Die verschiedene öffentliche Wahrnehmung der beiden Völkermorde ist ebenso ein Thema wie die vielen gemeinsamen Herausforderungen der Gegenwart: vom Sterben der Zeitzeug*innen über die Digitalisierung der Aussagen bis hin zum schwindenden oder falschen Wissen über die Shoah, Rechtsruck und Antiziganismus. Außerdem erfahren wir von innovativen Erinnerungsformaten und Ansätzen einer inklusiven Erinnerungskultur.
Unsere Gäst*innen:
- Anita Awosusi, Schriftstellerin, Musikerin und Tochter von Überlebenden des Porajmos. Bis zu ihrem Ruhestand war sie Leiterin des Referats Dialog und Vorstandsmitglied des Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg
- Mirjam Wenzel, Literaturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf Holocaustforschung und Kritische Theorie. Nach vielen Jahren als Leiterin der Medienabteilung am Jüdischen Museum Berlin ist sie seit 2016 die Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt.
Die Hosts:
- Clara Frysztacka, Historikerin und Referentin für Zeitgeschichte der Heinrich-Böll-Stiftung
- Łukasz Tomaszewski, Journalist und Podcaster
Die Reihe »Wir erinnern…«:
Was beschäftigt die plurale Gesellschaft Deutschlands? Mit 20 Gäst*innen wollen wir in den Dialog treten, ihre Narrative, Formate und Praktiken der Erinnerung besprechen und in Beziehung setzen. Dafür besuchen uns in jeder Episode 2 Expert*innen zur Erinnerung an bspw. die SED-Diktatur, den Kolonialismus oder rechten Terror. Mit ihnen diskutieren wir die Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Erinnerungskultur in Deutschland - und lassen sie auch persönlich werden.
Alle Folgen von »Wir erinnern…«: https://www.boell.de/de/podcasts/wir-erinnern Wenn euch dieser Podcast gefällt, helft uns, unsere Reichweite zu erhöhen. Empfehlt uns gerne weiter oder unterstützt uns mit einer Bewertung oder einem Abo auf der Podcast-Plattform eurer Wahl.
Fragen oder Feedback zur Sendung gern an zeitgeschichte[at]boell.de.
Kapitelmarker:
(04:25) Persönlicher Zugang und Mitbringsel
(12:37) Das jüdische Museum Frankfurt und Berlin
(21:08) Akteure der Erinnerung am Porajmos
(30:51) Herausforderungen der Gegenwart
(50:11) Dialogansätze und Visionen
Links:
Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg
Referat Zeitgeschichte der Heinrich-Böll-Stiftung
Schwerpunkt »Erinnern heute: Erinnerung im Wandel« der Heinrich-Böll-Stiftung
Transparenzhinweis: Mithilfe von KI wurde Hintergrundrauschen entfernt und die Sprachqualität verbessert. Es wurden dabei keinerlei inhaltliche Änderungen an Aussagen vorgenommen.
Bildcredits: CC-BY-SA Isabel Peterhans
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Lukasz Tomaszewski: Hallo, ich bin Lukasz Tomaszewski, ich bin Journalist und auch Podcaster.
Clara Frysztacka: Hallo auch meinerseits, ich bin Clara Frysztacka, Historikerin und Referentin für Zeitgeschichte der Heinrich-Böll-Stiftung. Herzlich willkommen zur ersten Folge von Wir erinnern. Clara, worum geht's? Ja, wir begeben uns heute auf die erste von zehn Etappen einer Erkundungsreise durch die breite und sehr lebendige Landschaft von Akteur*innen, Praktiken und Themen des Kollektiven Erinnerns im zeltgenössischen Deutschland. Spätestens seit den 1980er Jahren stehen im Mittelpunkt dieses kollektiven Erinnerns die Massenverbrecher des Drittes Reiches und nach dem Mauerfall auch der SED-Diktatur. In den letzten Jahren wächst auch das Geschichtsbewusstsein für die Schrecken des deutschen Kolonialismus.
Lukasz Tomaszewski: Ja und gleichzeitig wird ja die deutsche Gesellschaft einfach immer vielfältiger. Also wir sprechen inzwischen von der postmigrantischen Gesellschaft oder einem neuen, ja pluralen, migrantisch geprägten Wir der deutschen Gesellschaft. Und verschiedene Gruppen, die bringen auch ziemlich unterschiedliche historische Erfahrungen mit sich, die in Sichtbarkeit und Anerkennung in aktuellen Debatten, ja auch aus Geschichte und Politik und Kultur auch ringen irgendwie um diese Sichtbarkeit. Also da sehen wir zum Beispiel auch einen ganz kleinen Kreis jetzt im Host-Team von uns. Ich zum Beispiel bin in Warschau geboren und in den 1990er Jahren in Westdeutschland, in Niedersachsen aufgewachsen. Ich habe teilweise oder sicherlich andere Verbindungen und Schwerpunkte, wenn es um Historie, wenn es Geschichte geht, als Clara, die zwar auch einen polnischen Papa hat, aber eben in Italien geboren ist und groß geworden ist. Und Mandy, die dritte Host, die ihr dann noch später kennenlernen werdet, in einer anderen Folge, sie ist wiederum in Ost-Berlin aufgewachsen.
Clara Frysztacka: Die Pluralisierung der Einnerungskultur wird derzeit viel politisch diskutiert. Aber in der Reihe «Wir erinnern» wollen wir fragen, was konkret bedeutet, bzw. Welche vielfältigen Narrativen, Formen und Orte des Erinnerns sind im öffentlichen Raum und in der deutschen Gesellschaft präsent und wirksam. Und wie stehen sie zueinander in Beziehung?
Lukasz Tomaszewski: Ja und darum gibt es jetzt in regelmäßigen Abständen eine neue Folge jeweils zu einem anderen Thema. Und in jeder Folge interviewen wir und treffen auch Vertreter und Vertreterinnen von etablierten Institutionen der Erinnerungsarbeit, wie zum Beispiel auch Gedenkstätten und Museen, aber auch mit kleineren Initiativen und einzelnen Aktivist*innen werden wir sprechen. Und wir sprechen einfach darüber, wie die deutsche Erinnerungskultur historisch gewachsen ist und sich im kontinuierlichen Wandel jetzt auch immer wieder befindet. Gemeinsam mit unseren Gästen und Gästinnen sprechen wir über die Bedeutung vom Konsens im kollektiven Gedenken, sowie auch über die Bestrebung nach Anerkennung und über Wege des Dialogs und natürlich auch der Solidarität.
Clara Frysztacka: Die Erinnerungen an den Holocaust, an die jüdische Bevölkerung und an die Sinti und Roma in Europa während der NS-Zeit bilden den Kern unseres erinnerungskulturellen Konsens als Erinnerungsgemeinschaft. Und Hier beginnen wir auch unsere Reise. Für dieses Thema haben wir zwei ausgezeichnete Expertinnen gewinnen können, Miriam Wenzel und Anita Awosusi. Miriam Wenzel ist Literaturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf Holocaustforschung und kritische Theorie. Nach vielen Jahren als Leiterin der Medienabteilung am Jüdischen Museum Berlin ist sie seit 2016 Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt. Willkommen, Miriam.
Lukasz Tomaszewski: Wir haben zu Gast Anita Awosusi. Sie ist Schriftstellerin, Musikerin und Tochter von Überlebenden des Porajmos. Als zentrale Figur hat sie sich seit den 1980er Jahren maßgeblich für das Geschichtsbewusstsein über den Völkermord an den Sinti und Roma für politische Bildung und für Bürgerrechte eingesetzt. Bis zu ihrem Ruhestand war sie Leiterin des Referats Dialog und Vorstandsmitglied des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Herzlich willkommen auch Frau Awosusi.
Anita Awosusi: Hallo, schönen guten Tag.
Clara Frysztacka: Mirjam, ja, eine erste Frage für dich. Wie bist du zur Holocaust-Forschung gekommen? Wie kommt es, dass du dich dein ganzes wissenschaftliches Leben eigentlich mit diesem Thema auseinandersetzt?
Mirjam Wenzel: Ich bin ja Literaturwissenschaftlerin, jetzt unterrichte ich jüdische Studien, das gab es in der Form noch gar nicht, als ich studiert habe und habe, als ich wissenschaftliche Mitarbeiterin war am Institut für deutsche Philologie in München, intensiv mich beschäftigt. Auf der einen Seite mit jüdischen Theoretikern und Publizisten, etwa an der Werkausgabe von Siegfried Kracauer mitgearbeitet und auf der anderen Seite immer mit der Frage der Darstellung der Shoah oder des Holocaust. Auch kuratorisch war das mein Interesse zu der Zeit und dann habe ich promoviert über die Form des Nachdenkens über die Shoah, die in Deutschland sich entwickelt hat im Zusammenhang mit dem Eichmann-Prozess und dem Auschwitz-Prozess in den 60er Jahren.
Clara Frysztacka: So, Bei dieser Reihe, wir erinnern, wählen unsere Gäste etwas aus. Das kann ein Exponat, ein Zitat, ein Bild oder ein Ort sein, das sie besonders mit dem Thema Erinnerung, in diesem Fall der Shoah, verbinden und teilen es mit uns. Das haben wir auch Mirjam gefragt. Und ja, dir die Frage, Mirjam, was hast du uns mitgebracht?
Mirjam Wenzel: Ja, das ist ein Zitat und ein Ort. Den Ort muss ich hier beschreiben. Das Zitat kann ich vorlesen. Das Zitat ist, ich weiß nicht, was vor mir liegt. Vielleicht ist das gut so. Das Zitat kommt von einem 19-jährigen Ernst Ludwig Oswalt und ist aus dem Abschiedsbrief an seine Freunde. Ernst Ludwig Oswalt kam aus einer jüdischen Familie, war aber selbst Protestant, war sehr aktiv in der evangelischen Kirche und wurde 1942 von Frankfurt aus deportiert und ermordet. Und dieses Zitat ist zu finden an der Erinnerungsstätte, die wir als jüdisches Museum betreuen, die sich unter der EZB befindet. Diese Erinnerungsstätte, da ist noch im Original erhalten der Keller, in dem etwa 10.000 Jüdinnen und Juden zusammengepfercht wurden in der letzten Nacht, bevor sie von Frankfurt deportiert wurden in zehn großen Massendeportationen. Und dieses Zitat von Ernst Ludwig Oswalt begleitet einen also, wenn man an diesen Ort geht, an dem eben, wie gesagt, das ist der Ort unter der Großmarkthalle. Es wurde oben Obst und Gemüse gehandelt. Hier wurden die Jüdinnen und Juden aus Frankfurt zusammengepfercht in den Jahren 41 bis 45. Frankfurt hat besonders bis quasi sechs Wochen vor der Befreiung durch die US-amerikanischen Truppen deportiert und zwar insbesondere eben auch bis zum Ende Angehörige von jüdischen Familien. Dazu gehörte eben auch der 19-jährige Hans Ludwig Oswalt.
Lukasz Tomaszewski: Vielen Dank dafür. Anita, wie sieht es bei dir aus? Ich habe es gerade schon gesagt, du bist Tochter von Überlebenden. Aber vielleicht Magst du unseren Zuhörerinnen und Zuhörern auch nochmal erzählen, wie es kommt, dass du dich bis zum Ruhestand mit dem Thema auseinandergesetzt hast?
Anita Awosusi: Wie du es schon gesagt hast, ich bin Tochter von überlebenden Eltern. Nicht nur das, von beidseitig meiner Mutter, also mütterlicher und väterlicherseits gab es ganz viele, also es gab keinen der Verwandten, die nicht betroffen gewesen sind vom Porajmos, vom Völkermord, an den Sinti und Roma. Und somit bin ich schon hineingeboren worden mit diesem Thema sozusagen. Irgendwann viel später habe ich dann eine Anfrage bekommen vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, an einen Studiengang teilzunehmen. Sinti bearbeiten ihre Geschichte. Das wurde finanziert vom Bundesbildungsministerium und da habe ich dann mitgemacht. Das war eine zweieinhalbjährige Ausbildung, in dem sich Sinti und Roma, die als Referentinnen, Geschichtsreferentinnen, Referenten ausgebildet werden sollen, sich selbst um ihre eigene Geschichte sozusagen kümmern und sich da in den vielen Archiven, in denen wir waren und so weiter, dann diese Geschichte zu erarbeiten. Das war eine spannende Arbeit, die ich da gemacht habe. Davor habe ich schon ehrenamtlich für Sinti-Kinder, Sinti und Roma-Kinder gearbeitet, die benachteiligt gewesen sind schulisch und habe denen dann ehrenamtlich auch Nachhilfe gegeben. Und wie gesagt, durch diese Arbeit bin ich dann auch angefragt worden. Das wurde bekannt im Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Und dann wurde ich zu diesem Studiengang eingeladen, habe den dann gemacht und war eine der wenigen von sechs Auszubildenden, die dann übrig geblieben ist. Ich habe dann eine Stelle bekommen, auch eine feste Planstelle bekommen im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Und ab diesem Moment habe ich dann zu dem Thema gearbeitet, später dann auch als Referatsleiterin hier im Dialog und habe dann diese Arbeit wirklich mit einer Inbrunst auch gemacht und habe mit ganz vielen Überlebenden immer zu tun gehabt, die ich betreut habe, mit denen ich Interviews gemacht habe. Ich habe Tagungen durchgeführt zum Thema Sinti und Roma, zum Antiziganismus, aber ich habe auch Fahrten gemacht in die ehemaligen Konzentrationslager, das heißt in die Gedenkstätten mit Überlebenden. Und das war eine wunderbare Arbeit mit diesen Menschen, die ja genauso betroffen gewesen sind wie meine Verwandten, diese Erfahrung, wie es ihnen ergangen ist. Am Ende war es aber so, dass wirklich alle sozusagen gleiche Geschichten hatten. Von den Einzelnen eine Geschichte hätte erzählt werden können. Und irgendwann habe ich dann auch mein eigenes Buch beziehungsweise die Geschichte meiner Familie auch aufgeschrieben.
Lukasz Tomaszewski: Und Anita, auch Du hast uns ein Gegenstand oder ein Zitat mitgebracht, da bin ich total gespannt. Was ist es bei dir geworden?
Anita Awosusi: Ja, und zwar ist es ein Zitat von meinem Vater in den vielen Erzählungen, in den Gesprächen, die wir hatten und dann auch in der Recherche zu meinem Buch. Aber eigentlich waren es mehr die Erzählungen, die ich auch mitgeschnitten habe und aufgeschrieben habe, ist auch dieses Zitat entstanden, das auch in meinem Buch Vater Unser drinsteht. Und das lautet hier so. Nach einigen Stunden Fahrzeit wurde unser Zug immer langsamer, bis wir irgendwann nur noch Schrittgeschwindigkeit fuhren. Wir starrten durch die Holzritzen in unserem Waggon. Auf einmal sah ich Menschen draußen, Frauen, die leise miteinander sprachen. Auch Männer waren dort. Nun konnte ich sie sogar verstehen. Sie sprachen Romanes, unsere Sinti-Sprache. Sogleich fing ich aufgeregt an, durch die Zähne zu pfeifen. Ich sah, wie die Menschen draußen die Köpfe hoben, sich umsahen und Ausschau hielten nach dem Pfiff. Meine Mitgefangenen im Waggon aber hielten mich zurück. Sie fürchteten, dass die Wachen uns umbringen würden, wenn sie entdeckten, dass der Pfiff aus unserem Waggon kam. So blieb ich still und beobachtete weiter. Ich merkte schnell, das war ja ein riesiges Konzentrationslager. Eine große Gefängnisstadt, Auschwitz-Birkenau, das Todeslager.
Clara Frysztacka: Ja, vielen Dank dafür und interessant, dass ihr beide Zitate mitgebracht habt. Ich würde jetzt zu dir, Miriam, zurück. Und zwar, du hast jetzt über dein Dissertationsthema erzählt und dein Forschungsthema. Du hast aber auch viele Jahre, von 2007 bis 2015, am Jüdischen Museum Berlin gearbeitet und leitest jetzt seit 2016 das Jüdische Museum in Frankfurt. Beide Museen sind sicherlich die größten und wichtigsten jüdischen Museen in Deutschland. Das Jüdische Museum Frankfurt ist das ältere und wurde 1988 gegründet, das Jüdische Museum Berlin 13 Jahre später, so 2001. Und wir hatten hier die Frage, wie hängt eigentlich die Gründung dieser beiden großen Museen mit der Geschichte und der Entwicklung der Erinnerungen an den Holocaust in Deutschland zusammen?
Mirjam Wenzel: Also ich denke, dass die Erinnerung an die Shoah zunächst in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich auf der einen Seite von zivilgesellschaftlichen Akteuren vorangetrieben wurde und zwar dann eigentlich immer konfliktuell. Also hier in Frankfurt ist ein sehr gutes Beispiel die Auseinandersetzung um die Fundstücke unseres zweiten Standortes, nämlich des Museums Judengasse, Als man 1987 versuchte, vor Ort ein Verwaltungsgebäude für die Stadtwerke, die prekärerweise das Gas lieferten, und die Böden aushob, fand man die Fundamente von 19 Häusern der Jugendgasse. Und da setzte eine ganz große Auseinandersetzung ein, wie man mit dem jüdischen Kulturerbe aus der Zeit vor der Shoah umgehen sollte. Und es kam halt hinzu, eine Bewusstseinsbildung darüber, dass es schon mal Ghettos in der frühen Neuzeit gab. Und das überschrieb sich sozusagen dann mit den Ghettos im NS. Und diese Funde wurden in Teilen besetzt, weil die Stadt sie abräumen wollte, um das Haus zu bauen und es war eine wirklich wichtige Auseinandersetzung. Und Diese Art von Auseinandersetzung, die die Zivilgesellschaft vorantreibt, ist ein wichtiges Element der entstehenden Erinnerungskultur in den 80er Jahren. Das andere sind die institutionellen Auseinandersetzungen. Hier in Frankfurt, das Museum wurde nicht von ungefähr, eröffnet am 9. November 1988, also dem 50. Jahrestag der Novemberpogrome von Helmut Kohl. Und das Vorzeichen der Museumsarbeit zu dem Zeitpunkt war ganz klar ein erinnerungskulturelles. Es ging darum zu bewahren, zu sammeln und zu zeigen, was nicht mehr war. Nämlich sozusagen das, was man von deutsch-jüdischer Kultur quasi weltweit noch finden konnte. Und die zu vermitteln an eine nicht jüdische Öffentlichkeit immer unter dem Vorzeichen von Zerstörung und Vernichtung. Diese Vorzeichen haben sich heute sehr geändert weil wir eine plurale jüdische Gegenwarte haben, aber das war damals maßgeblich. Und deswegen ist dieses Datum, was Michali Bodemann auch als sozusagen der Inbegriff für das, was er Gedächtnistheater nennt, genommen hat. Dieses Datum ist eben sozusagen symbolisch. In Berlin ist es ein bisschen anders. Du hast nach beiden Orten gefragt. In Berlin ist die Geschichte, dass das Stadtmuseum eine Erweiterung brauchte, groß geschrieben hat, eine Erweiterung für die jüdische Abteilung. Aber eigentlich plante eine Erweiterung für noch mehrere Abteilungen. Dann hatte sich noch vor dem Mauerfall der Liebeskindentwurf durchgesetzt und dann bekam die Architektur, als sie gebaut war, eine solche Kraft und Attraktion, dass man eigentlich nicht mehr umhin kann, das eigentlich nicht mehr als Annex des Stadtmuseums zu sehen, sondern dass das eine eigene Diskussion nach sich gezogen hat. Damals diskutierte man, ob man, ohnehin schon, ob es das Denkmal für die ermordeten Juden Europas geben sollte, ob nicht vielleicht der Bau von Liebeskind das Denkmal sei. Das war auch eine Position und es ist bis heute so, dass diese Architektur von dann Liebeskind, in der das jüdische Museum Berlin beheimatet ist, was sich dann allmählich emanzipierte. Von dem Annex des Stadtmuseums hin zu einer eigenständigen Institution, die dann das Stadtmuseum quasi aus dem Gebäude verdrängt hat und dann auch noch Bundesinstitution wurde. Und das ist bis heute so, dass viele Menschen immer erzählen, ich war damals in dem leeren Gebäude. Das geht wirklich um diese Art von Symbolisierung, die dann Liebeskind geschaffen hat.
Lukasz Tomaszewski: Ja, es ist interessant, dass du davon erzählst, architektonisch nochmal. Weil ich war gerade Anfang des Jahres da, da gab es eine Ausstellung "Jüdisch in der DDR" und bei der Gelegenheit habe ich mir auch die Dauerausstellung noch mal angeschaut und Es war wirklich viele, viele Jahre her, dass ich zum ersten Mal da war. Das war bestimmt schon zehn Jahre, dass ich das Haus nicht betreten hatte. Und diese Achsen, diese unterirdischen Achsen, machten einen enormen Eindruck auf mich. Auch diese Ehrehalle, also diese Architektur, die macht richtig körperlich was mit einem und das merkt man auch an den Besucherinnen und Besuchern des Jüdischen Museums in Berlin. Was glaubst du, wie haben die Institutionen, die jüdischen Museen ihrerseits, also auch die Erinnerung an den Holocaust in Deutschland geprägt. Also welche Rolle haben die Museen dabei gespielt? Ich sagte gerade schon mit den Besucherinnen und Besuchern, macht das auch einfach was? Das merkt man in den Gesichtern, aber meine Frage zielt natürlich darüber hinaus.
Mirjam Wenzel: Also grundsätzlich muss man sagen, alles was wir tun, jede Form, unsere Sammlungsaktivitäten, auch unsere Ausstellungsaktivitäten sind immer unter einem Vorzeichen. In Berlin empfindet man dieses Vorzeichen, wenn man durch die Achsen geht. Die Architektur zielt auf diese Art von das ist eine kommemorative Skulptur, die Liebeskind geschaffen hat und sie zielt genau auf diese Empfindungswelten. Wir hier in Frankfurt haben da etwas, würde ich sagen, dezentere Symbolisierung in der Architektur. Nichtsdestotrotz haben auch wir im Eingangsbereich eine Skulptur von Ariel Schlesinger, die einen, die Wurzel zum Himmel streckenden Baum zeigt, der in der Baumkrone getragen ist, einem ebenfalls nicht verwurzelten Baumelement. Und also auch hier ist quasi das Vorzeichen des Entwurzeltseins, des Schmerzes etwas, was unsere Museumsarbeit prägt. Die Pracht und die Selbstverständlichkeit der deutsch-jüdischen Kultur vor der Zeit des Nationalsozialismus ist etwas, was uns heute nur noch in Teilen zugänglich ist, weil sehr viel zerstört wurde, weil die Menschen ermordet sind oder in der Immigration und weil es alles doch von Trauer und Schmerz überwölbt ist. Und das voran, das immer wieder zu thematisieren, auch in den transgenerationellen Auswirkungen. Also wie ist das für Die dritte, die vierte Generation heute, gerade wo die Überlebenden weniger werden und die Zustimmung zu rechtsextremem Gedankengut zunimmt und der Antisemitismus. Diese Perspektiven zu eröffnen, das ist unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, sowas auch wie der Stachel im Fleisch der Nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft zu sein, mit Blick auf, macht es euch nicht zu bequem, man hat nie genug Erinnern. Und Erinnern ist eine Praxis, es ist nicht etwas, was ich durch eine rituelle, einmalige Gedenkzeremonie abhandeln kann, sondern es ist etwas, was den Alltag noch immer zeichnet von Jüdinnern und Juden in diesem Land. Das Wissen darum, was hier passiert ist, der Schmerz um die Nachwirkung und die Unselbstverständlichkeit hier zu leben.
Clara Frysztacka: Ja, vielen Dank für dieses Bild der Stachel. Ich glaube, es ist sehr stark und sehr passend auch.
Lukasz Tomaszewski: Ja, und du hast es ja noch viel mehr erzählt, nicht nur wie die Häuser, wie die jüdischen Museen sozusagen das deutsche Erinnern geprägt haben, sondern was Erinnern überhaupt ist.
Clara Frysztacka: Kommen wir zu dir, Anita. Ja, du publiziert seit der 1990er-Jahre eigentlich zum Thema Erinnerung an den nationalsozialistischen Volkermord, an den Sinti und Roma. Und 1997 wurde das Dokumentation- und Kulturzentrum Deutsches Sinti und Roma in Heidelberg gegründet, die eigentlich eine der wichtigsten Einrichtungen zur Erinnerung an den Porajmos in Deutschland. Aber welche Bedeutung haben dann diese 90er Jahre, wir haben jetzt mit Mirjam über die 80er Jahre, über den Beginn der 2000er, welche Bedeutung haben diese 90er Jahre für die Erinnerung an das Schicksal der Sinti und Roma in der NS-Zeit? Ist eigentlich gerade in den 90er Jahren ein größeres Bewusstsein dafür entstanden?
Anita Awosusi: Bei Sinti und Roma und dem Holocaust oder dem Porajmos, an unseren Menschen muss man ja einfach sagen, da gab es überhaupt gar keine Einsicht der Bundesregierung nach 1945, diesen Völkermord überhaupt anzuerkennen. Es mussten sich die Betroffenen selbst durch aufsehenerregende, wie soll ich sagen, Demonstrationen wie zum Beispiel den Hungerstreik im Dachauer ehemaligen Konzentrationslager mit Überlebenden an der Spitze, Romani Rose mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten erst mal erstreiten und erst einmal fordern, dass der Völkermord an den Sinti und Roma anerkannt wird von der Bundesregierung. Das war bislang nicht der Fall gewesen. 35 Jahre lang wurde der Völkermord an den Sinti und Roma ausgespart. Dieser Völkermord, der, wie es Roman Herzog später gesagt hat, du hast es gerade erwähnt, bei der Ausstellungseröffnung, er sagte so viel wie, der Völkermord an den Sinti und Roma ist an den gleichen Motiven durch die Nazis mit den gleichen Zielen durchgeführt worden, wie die an den Juden. Ganz verkürzt jetzt das Zitat hier mal noch anzubringen. Es war also 35 Jahre hat es gedauert, bis eine Weltöffentlichkeit aufmerksam geworden ist bei diesem Hungerstreik, wo auch wie gesagt unsere Lebende mit dabei waren in den frühen 80er Jahren. Dann wurden Solidaritätsbezeugungen aus Israel, aus Amerika, aus ganz vielen Ländern auch geschickt. Und dann erst später, 1982, dann 83, im Wechsel von der SPD-Regierung zur Kohl-Era wurde der Völkermord an den Sinti und Roma anerkannt und durch den Bundespräsidenten Weizsäcker und später dann durch den späteren Bundespräsidenten Herzog dann mit diesem Zitat, der ja auch in der Ausstellung gleich am Anfang immer reinkommt beim Prolog dann auch steht, Das war entscheidend. Aber das war ein großer Skandal. Das muss man einfach mal sagen. Dass Überlebende selbst auf die Straße gehen mussten mit ihren sozusagen Nachfahren. Wir, die zweite Generation, mussten einfordern, dass der Völkermord an unseren Vorfahren überhaupt erst anerkannt wird. Ja, wie gesagt, die 90er Jahre dann waren sozusagen die guten Jahre für Sinti und Roma, die Arbeit und die Bürgerrechtsarbeit und das Erschließen von dem Thema Holocaust, von dem Thema Porajmos, vom Völkermord überhaupt, haben sie, die zweite Generation, zu der auch ich dann gehöre, ich wurde ja dann auch Aktivistin, es eingefordert. Und seitdem erst ist der Völkermord also ja bekannt. Es hat sich in den Jahrzehnten, dann später, nachdem es das Dokumentations- und Kulturzentrum mit seiner wirklich großen, Über 700 Quadratmeter Ausstellung über drei Ebenen. Es gibt auch noch eine Wanderausstellung, ein Duplikat, das in ganz vielen Bundesländern, in vielen Städten aufgezeigt wurde. Da wurde der Völkermord erst wirklich bekannt in den 90er Jahren durch diese Arbeit der Betroffenen selbst. Und bis heute noch, muss ich mich da einfach nochmal kurz an meine Vorrednerin anschließen, bis heute ist die zweite Generation auch noch damit befasst, aufzuzeigen, wie der Alltagsrassismus vonstatten geht bei Sinti und Roma. Wir müssen immer noch dafür kämpfen, dass der Antiziganismus überhaupt gesellschaftlich auch erkannt wird, ja. Und dass in ganz vielen Bereichen, also es war eine große Anstrengung von den Betroffenen selbst Und wir können von Glück sagen, dass wir die Überlebenden hatten, die sich bereitwillig zur Verfügung gestellt haben. Sie waren dann auch unsere Erzähler über das, was geschehen ist damals. Und sie waren auch diejenigen, die ja sogar mit uns zusammen auf die Straßen gegangen sind, die demonstriert haben. Ja, und die sind die wahren Erzähler dessen, was damals passiert ist.
Lukasz Tomaszewski: Miriam hat ja gerade von der Wichtigkeit der jüdischen Museen in Berlin und Frankfurt erzählt. Du hast es auch gerade schon benannt, das Dokumentations- und Kulturzentrum. Würdest du auch sagen, dass das super wichtig war, für das Erinnern, einfach so einen zentralen Ort zu haben?
Anita Awosusi: Wenn du vom Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma sprichst, ist das ja kein authentischer Ort. Weil die Institution ist ja in Heidelberg ansässig. Das hat sich so ergeben, weil die meisten Mitarbeiter aus dieser Gegend gekommen sind. Herr Rose selber ist ja gebürtiger Heidelberger. Und es hat sich halt so ergeben, dass dann die Institution dort als bundesweite Institution sozusagen ins Leben gerufen worden ist. Und da ist sie auch bis heute. Aber wie gesagt, es gibt ja 16 Landesverbände, ganz viele NGOs, die zusammenarbeiten und eigentlich versuchen alle an einem Strang zu ziehen. Aber wie gesagt, die Institutionen als solche, das Mahnmal in Berlin, das ja jetzt auch in Frage gestellt wird durch eine S-Bahn-Trasse, die dort gebaut werden soll, Also ein ganz unsägliches Thema, da möchte ich gar nicht so sehr darauf eingehen. Aber das war entscheidend. 20 Jahre alleine hat es gedauert. Und die jüdischen Vertreterinnen und Vertreter waren da. Wir waren zusammen da bei den verantwortlichen Politikerinnen und Politiker und haben das eingefordert. Und es ist ein Meilenstein gewesen letztlich. Leider hat das Malenmal für Sinti und Roma erst viel später, wurde erst später realisiert, aber dann endlich war es da, glaube ich, das war 2012, als es eröffnet wurde. Und jetzt ist es aber infrage gestellt. Natürlich sind solche Orte, solche authentischen Orte wichtig. Schauen Sie mal, es ist ja unweit, fast Sicht zu Sicht weit zum Reichstag. Dort sehen ganz viele Menschen, es hat zwar nicht die Dimension wie das jüdische Mahnmal, aber uns ging es von vornherein nicht um Dimensionen als solche. Es ging uns erst mal überhaupt darum, dass es ein Mahnmal gibt, weil an uns herangetreten sind die Überlebenden. Und was haben sie uns erzählt, was haben sie eingefordert? Wir haben kein Friedhof, wo wir all unsere Toten dann ihrer gedenken können. Wir können nicht nach Auschwitz fahren oder nach Buchenwald oder sonstige ehemalige Konzentrationslager, die heute Gedenkstätten sind. Das sind wir nicht in der Lage, um die Gräber aufzusuchen, die es nicht einmal gibt. Und das war eine Forderung, die war gerechtfertigt. Und die ist genauso gerechtfertigt, dass sie auch bleibt als solches an dem Mahnmal. Und das ist ein Skandal und eine Schande eigentlich für die Bundesregierung und auch für die Deutsche Bahn, die sich das so weit trauen kann, dass sie überhaupt diesen Ort als solchen vangetastet haben. Wissen Sie, Sinti und Roma ist ein Friedhof, ein ganz wichtiger Ort des Gedenkens. Und diesen stört man, damit stört man auch die Totenruhe.
Mirjam Wenzel: Ich stimme dir zu. Ich würde auch gerne nochmal sagen, dass ich es schön jetzt in unserem Zusammenhang finde, nochmal zu sagen, dass die Gestaltung von Dani Karajan kommt, also von einem jüdischen Künstler. Es hat lange gedauert, bis sie umgesetzt wurde. Es wurde dann noch erweitert Biografien, die vorgestellt wurden, den Porajmus bekannter zu machen. Ich glaube, das muss man auch an der Stelle noch mal ganz klar sagen, dass die Schoah sozusagen bekannter ist, anerkannter ist als der Prorajmus und dass jetzt natürlich durch die Entscheidung der Deutschen Bahn oder die Erwägung der Deutschen Bahn da eine Trasse hin zum Hauptbahnhof, die eben just unterhalb oder halb unterhalb des Denkmals verlaufen soll. Das ist einfach wirklich eine sehr schmerzhafte für die Sinti und Roma, aber ich denke auch insgesamt für die, für das, jetzt gibt es gerade diesen Ort, der ist erweitert worden. Es gibt sozusagen diese zentrale Form der Anerkennung. Kaum ist es da, gibt es schon wieder diese Erschütterung.
Clara Frysztacka: Vielen Dank von euch beiden, weil wir sind jetzt gerade mittendrin eigentlich von dem genau nächsten Thema von unseren...
Lukasz Tomaszewski: Ihr seid uns schon der nächsten Frage vorweg gekommen.
Clara Frysztacka: Ja und zwar das wäre jetzt die Frage nach so vielen Reden über Institutionen und über Denkmäler und deren Rolle auch für die Geschichte der Entwicklung der Erinnerungskultur an Schwan-Poraimus ist die Frage, wie sieht jetzt die Situation? Und zwar, wie würdet ihr den Stand der Erinnerung an Schwan-Poraimus im heutigen Deutschland einschätzen? Haben bei der Völkermörde so ein Juden, Judinnen und ein Sinti und Roma eigentlich einen festen, zentralen Platz im gegenwärtigen deutschen Geschichtsbewusstsein. Was wäre eure Einschätzung?
Mirjam Wenzel: Erstens würde ich sagen, die Shoah, über die ich jetzt besser sprechen kann als über den Porajmos, ist natürlich ein weitgehend erforschtes Gebiet, aber es gibt immer wieder ganz erstaunliche Lücken. Hier in Frankfurt ist zum Beispiel vor acht Jahren die erste Holocaust-Professur in Deutschland überhaupt erst eingerichtet worden, die sich dezidiert nur mit der Erforschung auseinandersetzt. Hier in Frankfurt hat man ganz viel gearbeitet, biografisch gearbeitet, an den Versuch nachzuvollziehen, die Biografien der Ermordeten und so. Was man aber nicht gemacht hat, ist über die Arisierung gearbeitet, also welche, wie sich diese Stadtverwaltung sozusagen systematisch bereichert hat und was es da vielleicht heute auch noch zu klären gibt, welche Vermögenswerte sie sich angeeignet hätten. Es gibt immer wieder diese blinkenden Flecke in der Holocaust-Forschung, die, glaube ich, relativ sprechend sind. Das andere ist natürlich die Ebene des allgemeinen Wissens. Alle Studien sagen uns, es gibt in der Gen Z, also den Millennials, ein relativ großes Interesse, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Das hat jüngst auch nochmal die Arolsen Archives bestätigt. Aber es gibt einen Rückgang vom Wissen. Es gibt sozusagen ein Scheinwissen. Man meint, etwas zu wissen, aber das, was man meint, zu wissen, ist häufig eher eine Erzählung als ein Wissen. Zum Beispiel nimmt die Zahl derjenigen, die denken, die eigenen Großeltern oder Urgroßeltern, wo wir ja jetzt schon sind, seien Widerstandskämpfer gewesen, hätten Jüdinnen und Juden versteckt, hätten sich zur Wehr gesetzt nimmt zu. Und das heißt, Geschichtsmythen nehmen zu. Wir leben ja in einer Zeit von Fake News und immer stärker kursierenden Mythen. Und das halte ich eben für so etwas wie Erinnerung für sehr gefährlich. Denn Erinnerung per se ist ja etwas, wie gesagt, eine Praxis, ein Narrativ. Und wir müssen auch immer sicherstellen, dass es wissensbasiert ist. Also dass es nicht in Mythen abgleitet, die sich dann weiter verbreiten und die quasi nicht faktenbasiert sind. Also das heißt, ich würde sagen, es gibt eine Vielzahl an Institutionen, insbesondere und Denkmäler, die sich der Erinnerung an die Shoah widmen und sich dafür verantwortlich erklären. Es gibt sogar in Teilen auch der jungen Generation ein Interesse. Es gibt aktive politische Player, die eine Schlussstrichthematik vertreten und denken, es wird zu viel investiert und zu viel über die Shoah gesprochen. Das hat es übrigens schon immer gegeben, und das gibt es im Moment wieder lauter. Das Hauptproblem, was wir im Moment haben, ist sozusagen das Sterben der Zeugzeugen, keine persönlichen Bezüge mehr in der Geschichte und eine gleichzeitige Zunahme von Mythen über das, was passiert ist.
Lukasz Tomaszewski: Danke. Anita, was sagst du?
Anita Awosusi: Dass natürlich mit dem biologischen Tatverhalten, dass die Überlebenden ja immer ruhiger oder fast bevorhandelt sind, eine ganz große Ära sozusagen zu Ende geht, nämlich die wahren Erzähler selbst, die sind nicht mehr da, die sind nicht mehr unter uns. Da gibt es nur noch ganz, ganz minimal einige. Sicher verändern heißt auch dazu zu stehen. Es stehen leider in Deutschland nicht alle Menschen zur Erinnerung, was Holocaust angeht. Mit dem Rechtsruck auch ganz besonders muss man einfach sagen, dass es eine Beobachtung nicht von mir alleine. Da sieht man, dass ganz viele Menschen einfach gar keine Lust mehr auf dieses Erinnern haben. Es wurde viel erinnert, da sagen viele Menschen, jetzt muss genug sein. Das kann nie und wird nie genug sein können, wie man erinnert. Das Erinnern, das sagen unsere Überlebenden schon. Das Erinnern heißt vorsorgen für die Zukunft. Wenn man sich erinnert, was man falsch gemacht hat oder was falsch lief, dann weiß man, dass man das nicht mehr zulassen kann. Wenn man selbst nicht erleben möchte, dass es sich wiederholt. Deswegen ist es ganz wichtig und deswegen will ich auch sagen, freue ich mich sehr, dass in der Erinnerungsarbeit sowohl als auch in der aktiven Bürgerrechtsarbeit bei Sinti und Roma mit den vielen Institutionen, die es gibt. Ganz viele junge Menschen sind auch dazu gekommen, als Aktivistinnen und Aktivisten. Die sehr powerful sind, die mit Workshops an Institutionen herankommen, die auch wirklich sehr gern angenommen werden. Sie machen eine sehr gute Arbeit. Diese jungen Menschen, ich möchte mal Berlin, für Berlin diese Frauengruppe von Imi-Romnja, das ist halt Romani Pen, möchte ich gerne nennen. Vielleicht habt ihr schon von denen gehört. Die machen hervorragende Arbeit. Sie sind auch mittlerweile bundesweit eine feministische Gruppe von akademischen Frauen. Sinti-Frauen, Roma-Frauen, die sich da vor einigen Jahren als Verein zusammengesetzt haben. Sie machen eine ganz powerfulle Arbeit, was das Erinnern angeht, aber auch für heute. Und sie arbeiten auch für morgen. Das ist Arbeit, die ich mir auch wünsche und vor allem, ich muss mich an das erinnern, auch das Erfahren, dass man sich damit erinnert, dass es immer noch eine Gruppe gibt hier bei uns in unserem Land, auch schon vor Jahrzehnten,
Anita Awosusi: durch die Nationalsozialisten dann bis hin in den Tod geführt wurden durch den Antiziganismus, durch den Rassismus, dass die heute auch noch diese Gruppierung auch heute noch sozusagen verfolgt wird von Vorurteilen. Es ist wichtig, damit man nicht vergisst, was es mal gewesen ist, und dass man etwas dagegen tut, dass es nicht wieder passiert. Wohin geht es denn? Schauen wir uns mal Europa an. Der Rechtsruck, das ist doch sehr gefährlich, was jetzt hier passiert. Was meint ihr, was für Ängste es gibt unter den betroffenen Sinti und Roma durch die AfD zum Beispiel, möchte sie eigentlich gar nicht nennen, aber in dem Fall ist es notwendig. Der Rechtsruck, der ist sehr stark und macht sich bemerkbar, insbesondere bei denen, die sowieso schon Rassismus-Opfer sind. Also für mich ist auch eine Praxis, die erhalten bleiben muss durch die Gedenkstätten, durch die Institutionen, die für heute arbeiten, für morgen, dass man morgen besser macht. Das ist einfach zu erhalten. Und deshalb möchte ich sagen, ist Erinnern auf jeden Fall nie falsch.
Clara Frysztacka: Vielen Dank euch beide. Ihr habt eigentlich sehr wichtige Themen, die waren auch Teil unserer Fragen. Rechtsruck, Fragen des, genau, bröckelnden Konsens dadurch, Holocaust, aber auch Fragen des irgendwie Aussterben von Zeitzeug*innen Generationen und was das eigentlich bedeutet für das Erinnern an Shoah und Porajmos. Wir bleiben vielleicht kurz zur Frage, wie lässt sich dieses Erinnern neu gestalten?
Lukasz Tomaszewski: Genau, da haben wir ja im Vorgespräch ja auch schon irgendwie so ein bisschen darüber gesprochen, wie kann irgendwie in einer Zeit, wo halt eben, wie du schon sagst, die Zeitzeugen ja auch verschwinden und die Letzten sterben, Wie kann man das Erinnern noch am Leben halten? Was sind gute, neue, aktuelle Formate? Weil ich glaub, es kommt auch total auf die Formate an. Wenn wir sagen, wir wollen die Gen Z erreichen, dann müssen wir auch irgendwie in ihren Formaten denken, wie wir erinnern. Ich will da ein ganz kurzes Beispiel zu erzählen. Es ist eine kleine Anekdote. Ich habe jetzt ein Feature gemacht für Deutschlandfunk zu dem Thema. Da ging es die Geschichte eines alten Hauses in Nürnberg. Da wurde eine jüdische Familie 1932 sozusagen unter extremen Druck der Nationalsozialisten, hat sie ihr Haus verlassen und ist nach Brüssel geflüchtet. Es war sozusagen juristisch aber noch keine Enteignung im klassischen Sinne, sondern sie haben dieses Haus unter Wert verkauft. Und dann kommt der Nachkomme 80 Jahre später wieder und Mittlerweile ist eine ganz andere Familie eingezogen, übrigens auch Belgier. Und irgendwie finden sie zueinander und lernen sich kennen. Die Nürnberger Familie und die belgische Familie besuchen sich und feiern dann auch Schabbat irgendwann in dem alten Haus zusammen und lehren sich einander an und dann haben die beiden Familien gesagt eigentlich wollen wir gar nicht diese Geschichte erzählen, dass wir das machen, sondern die nächste Generation soll das machen. Die nächste Generation hat dann ein Forschungsprojekt daraus gemacht, das war die Oberstufenschule eines örtlichen Gymnasiums. Und die haben ein Buchlet, letztendlich ein Recherche-Buklet von 80 Seiten dazu produziert und dann gesagt, Moment mal, irgendwie glauben wir einfach nicht, dass Gleichaltrige sich dieses Buklet jemals angucken werden. Wie wäre es denn, wenn wir die Geschichte dieser jüdischen Familie, die ursprünglich aus dem Städtel und aus Warschau kam, dann in Nürnberg Karriere gemacht hat als Handlungsreisende und dann fliehen musste nach Belgien und und und dann 80 Jahre später kommt es zu dieser Begegnung, wieso können wir das nicht in Form eines Comics erzählen? Und dann engagieren sie einen Comiczeichner und dieser Comiczeichner entwirft gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern diesen Comic und der wird dann bis heute in den letzten drei Jahren in 30 Sprachen übersetzt. Dieser Comic heißt Jesuran. Und ich finde es eine hervorragende Geschichte, ein hervorragendes Beispiel, wie man eigentlich Erinnerungskultur, dieses sperrige Wort Erinnerungskultur, das ja sehr umstritten ist, wie man das irgendwie in die nächste Generation herüber retten kann.
Mirjam Wenzel: Ja, also zunächst mal, wenn ich anfangen darf, also ich denke, Wir reden schon sehr lange von dem Ende der Zeitzeugenschaft. Ehrlich gesagt begleitet mich das, seitdem ich irgendwie aktiv diesen Diskurs mitgestalte. Ich glaube, diese Zäsur hat im Moment eine besondere Relevanz, weil wir eben den Angriff auf das, was bislang quasi erungen wurde, als Form der Erinnerung an Ischola, weil wir diesen Angriff erleben. Wir erleben den Geschichtsrevisionismus. Wir erleben auch ganz konkret an den Erinnerungsstätten, die wir begleiten in Frankfurt, wie die verunglimpft werden, wie die besprayt werden, wie der Dreck ausgekippt wird, Exkremente, ich weiß nicht, was alle, also alle, das sind die Orte, die wir begleiten, die am meisten angegriffen sind. Und angesichts dieses Angriffs wirkt es besonders schwer, dass die letzten Überlebenden uns jetzt verlassen, weil es wirklich einfach darum geht, wie können wir zukünftigen Generationen einen Zugang vermitteln über die Bedeutung dieses Menschheitsverbrechens. Und ich glaube, das ist auch wichtig, deswegen finde ich es schön, dass wir hier Anita und ich zusammen sprechen, dass es wichtig ist, dass wir uns da nicht so auseinander dividieren und sozusagen verschiedene nationale Gedächtnisse und sonstige. Das Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten richtete sich gegen verschiedene Gruppen, aber es war ein Menschheitsverbrechen in der systematischen Form der Verfolgung und Vernichtung und eben in dem entmenschlichen Wahrnehmen von Gruppen. Und ich glaube, es ist total wichtig für die Zukunft, nicht ausschließlich auf Wissensvermittlung zu setzen, also schulische Formen von Vermittlung, sondern auf Verantwortungsübernahme, also sozusagen, was heißt es, für kommende Generationen in diesem Land aufzuwachsen, was dieses Menschheitsverbrechen beantwortet hat. Auch wenn es in ihren Familien gar nicht tradiert ist und dazu keine Geschichte gibt. Das ist, glaube ich, eine zentrale Frage. Und ich denke, die ganz wichtige Antwort dabei muss immer sein, sie müssen teilhaben an dieser Erinnerungspraxis. Sie müssen diese Erinnerungspraxis mitgestalten können. Ein Beispiel mit dem Comic-Zentrum. Es gibt viele Comic-Projekte jetzt, die sich mit Erinnern an die Shoah beschäftigen. Es gibt andere Beispiele davon, Erkundungen quasi noch mal, was ist vor Ort geschehen, konkret, wer hat wo gelebt, wer war an dieser Schule eigentlich, was ist deren Geschichte gewesen. Das glaube ich sind sinnvolle Ansätze Und ich glaube, das Allerwichtigste ist auch, bei den Jugendlichen, die aus deutschstämmigen Familien kommen, auch in ein Gespräch zu kommen mit der eigenen Familie. Das gilt auch für Jugendliche mit Migrationserfahrung. Das Gespräch mit der eigenen Familie und was für Gefühlserbschaften es in der Familie gibt, was da tradiert ist an traumatischen Erfahrungen, an Abwehr von Erinnerungen, ist, glaube ich, eine ganz wichtige Auseinandersetzung, die geführt werden muss, in sozusagen zukunftsorientierte Praktiken von Erinnerung an eben dieses Menschheitsverbrechen und das, was notwendig ist, dessen Wiederholung in der Zukunft zu vermeiden. Denn da bin ich relativ illusionsfrei. Ich glaube, was geschehen ist, kann wieder erscheinen. Und da ist die Verantwortung gefragt.
Lukasz Tomaszewski: Ja gut, aber wie übersetzt du als Museumsdirektorin Diese Herausforderungen in Form von zum Beispiel wechselnden Ausstellungen und auch moderner Technik, Sound-Installationen, VR-Brillen usw. Das sind ja sozusagen die modernen Mitteln, mit denen du ja auch arbeiten kannst, diese junge Generation abzuholen. Weil das eine ist ja sozusagen das Inhaltliche, was du sagst, unsere Verantwortung, unser Gewissen, auch die historische Verantwortung, weiterzugeben. Und das andere ist, wie können wir es technisch auch umsetzen? Ich frage dich das, weil ich vor ein paar Monaten gerade erst im Paulinenmuseum in Warschau war, was ja auch sehr modern ist und da war ich mit meinem zehnjährigen Sohn unterwegs und ich muss schon sagen, je interaktiver die einzelnen Teile der Ausstellung waren über jüdisches Leben in Polen, desto mehr hat ihn das angesprochen und desto länger ist er stehen und sitzen geblieben. Da gab es zum Beispiel so eine Vorrichtung, wie früher gedruckt wurde und so weiter und so fort. Auch diverse Installationen, da war ein jüdisches Viertel nachgebaut. Also welcher Mechanismen, welche Tools Sollten sich da die heutigen Museumsmacherinnen und Museumsmacher bedienen? Was denkst du?
Mirjam Wenzel: Ja, also grundsätzlich ist das Aufgabe von unserer Museumsarbeit, es immer zeitgemäße Formen zu finden, um unsere Geschichte erzählen zu können. Und dann geht es die richtige Form. Also wir haben hier auch zum Beispiel gezeichnete Comics, die Geschichte von Jüdinnen und Juden zu zeigen. Wir haben unsere Ausstellung, die kann man mitnehmen, dem kann man den Ausstellungsbesuch vorbereiten. Oder wir haben ein digitales Memorial, Shoah Memorial Frankfurt, das sehr viele Preise bekommen hat, das ergänzt die Gedenkstätte vor Ort. Und wir arbeiten mit Jugendlichen daran, dass sie die Biografien, das ist partizipativ angelegt, dass sie die Biografien sozusagen erarbeiten, erweitern können, Kontakt aufnehmen können mit den Nachfahren, um die zu fragen. Und so diese Formen von, wir sprechen ja im Museumsbereich immer von den Visitor Journeys, die beginnen vor dem Museumsbesuch. Es braucht im Museumsbesuch etwas, was triggert, eine Erfahrung, die weiter wirkt, und dann braucht es eine Nacharbeit. Und da muss man, glaube ich, immer sehr genau überlegen, wie das sich gestaltet und dass die Digitalität ein ganz wichtiges Moment ist, eben was ich gesagt habe, die Jugendlichen, denen eine Erfahrung von Teilhabe zu ermöglichen. Das für mich berührendste Moment war, das hatte ich auch schon erzählt, als ein syrischer Jugendlicher, mit dem wir hier performativ in der Ausstellung gearbeitet haben, sich die Geschichte des Auschwitz-Überlebenden Friedrich Schafranek ausgesucht hat. Und diese Geschichte in der Performance, die diese Jugendlichen hier aufgeführt haben, das mal nacherzählt hat und gesagt hat, der ist alleine aus Syrien, seine Eltern haben ihn alleine auf den Weg geschickt, ein geflüchteter Junge. Und er hat gesagt, mit dieser Geschichte kann ich mich identifizieren. Das ist eine Geschichte, und er hat sie dann erzählt, mit der ich was zu tun habe. Ich glaube, solche Momente der persönlichen Bezugnahme auf Geschichte, das ist das, worauf es ankommen wird in Zukunft. Wir sind gefragt, mit verschiedenen Formaten, digitalen Formaten, Partizipantiven, Jugendlichen diese Zugänge zu eröffnen.
Clara Frysztacka: Ich glaube, wir begeben uns langsam zum Ende unserer ersten Etappe dieser Reise. Aber auf jeden Fall, es gibt noch zwei Sachen, die wir gerne diskutieren würden. Und zwar die erste ist, ich fand es sehr schön, Miriam, wie du irgendwie die Bedeutung auch hervorgehoben hast, von heute zusammen mit Anita zu diskutieren und Shoah und Porajmos gemeinsam zu betrachten und zu uns zu gedenken und nicht nämlich, dass jeder die unterschiedlichen Opfergruppen dann für sich alleine, so dann die Erinnerung an der NS Völkermord und Menschheitsverbrechen irgendwie erinnern. Und Shoah und Porajmos sind aber, genau, in ihrem Charakter und Ausmaß präsedenzlose historische Phänomene. Und ihre Erinnerung aber, und das haben wir auch in den letzten Jahren gesehen, kann auch viele Anknüpfungspunkte für andere Opfergruppen bieten, die Ausgrenzung, Verfolgung bis hin zum Massermord erfahren haben. Und ja, immer wieder wird in diesem Zusammenhang ab und zu von Opferkonkurrenz gesprochen. Und ich würde eigentlich aber sehr gerne diese Frage ins Positive wenden und fragen, ob und welche sinnvolle Bezüge und solidarischen Ansätze von Erinnerungsnarrativen mit der Erinnerung an Shoah und Porajmos euch in den Jahren, in euren Erfahrungen begegnet sind?
Lukasz Tomaszewski: Das Schwierige zum Schluss.
Mirjam Wenzel: Ja, das ist ein bisschen schwierig, weil er das jetzt konkret fragt. Ich glaube, wir tun uns überhaupt keinen Gefallen in dieser Ausdifferenziertheit, wenn wir nicht das große Ganze. Also theoretisch gesprochen ist es einfach, es gibt partikulare Elemente an jeder einzelnen Opfererfahrung, auf jeden Fall. Es gibt auch noch nicht anerkannte Opfererfahrungen. Ich erinnere an die Gruppe, die die Nationalsozialisten als asoziale gebrandmarkt haben. Das ist, die auch eine eigene Markierung hat, in den Konzentrationslagern noch nicht anerkannt. Die Anerkennungen haben ja auch immer sehr viel mit Wiedergutmachungsfragen zu tun. Wann wurde Geld bezahlt? Wann wurde das? Das hat ja unmittelbar auch solche Konsequenzen. Aber ich denke, untereinander sollten wir uns das nicht zu eigen machen. Denn ich glaube, dass die universelle Perspektive im Moment eine ist, die tragend sein muss, weil es um Fragen von Verantwortung geht. Und Da geht es nicht nur darum, die eigene Geschichte zu erzählen, sondern da geht es immer auch eine Frage, was heißt sie mit Blick auf heute und zwar in der Nachwirkung in den Opfergruppen, aber was heißt sie auch mit Blick auf politische Verantwortung? Und ich kann im Moment nur so allgemein bleiben. Ich denke, es gibt wichtige Initiativen, also zum Beispiel sicherlich eine, die im Moment auch in Berlin beheimatet ist, die unter anderem von Jo Frank mit angestoßen wurde, in der es genau darum geht, eine Art inklusive Erinnerungskultur zu formulieren, wo sich einfach verständigt wird darüber, was das bedeuten soll. Ich glaube, dass wir an der Stelle jetzt noch mal nicht auf einer symbolischen Form angekommen sind. Und vielleicht ist die symbolische Form eines Hauses oder eines Denkmals, das an alles gleichzeitig erinnert, auch gar nicht die richtige. Was aber ganz wichtig ist, ist der konkrete Dialog und die konkrete Auseinandersetzung miteinander und das im Gespräch bleiben über Nachwirkungen und über Verantwortung. Deswegen glaube ich geht es an der Stelle um Dialog.
Lukasz Tomaszewski: Ich habe das große Privileg, die letzte Frage stellen zu dürfen. Die geht an euch beide. Und zwar fragen wir diese Frage all unsere Gäste. Welche Form des Erinnerns wünscht ihr euch eigentlich für die Zukunft in Deutschland von der Deutschen Gesellschaft? Und wie sollte, ja, eurer Meinung nach, so eine zukünftige deutsche Erinnerungsgemeinschaft aussehen?
Anita Awosusi: Ich als ehemalige Referatsleiterin Dialog sage, man muss, genauso wie meine Vorrednerin gesagt hat, man muss im Dialog bleiben. Das ist mal die Voraussetzung. Aber ich möchte auch sagen, dass der Respekt des Erinnerns und worum es eigentlich geht, gewahrt werden muss. Da brauchen wir die Politik für. Da sind die Politiker gefragt, nicht nur einmal am 27. Januar, dass dann hier wieder mal wieder was abgefeiert wird, man einen Zeitzeugen befragt und dann ist das natürlich immer sehr beeindruckend und dann werden diese Leute aber wieder nach Hause entlassen und dann ist ein ganzes Jahr nichts. Und das finde ich einfach keine Verantwortung. Und Mirjam hat es auch gesagt, sie glaubt, dass es wieder passieren kann. Sogar mein Vater, seligen angedenkens, hat einmal gesagt, glaub mir, es kann wieder passieren. Vielleicht in einer ganz anderen Form, vielleicht nicht so, wie wir es erlebt haben. Aber seid vorsichtig, hat er immer gesagt. 1990 hat er das besonders gesagt, 1989, Entschuldigung, als die Mauer fiel. Da hat mein Papa damals gesagt, jetzt fällt die Mauer. Und Deutschland zeigt sich jetzt sehr groß. Auch Geschichte, wenn sie böse ist, kann sich wiederholen. Das sieht man heute. Man sieht die AfD, man sieht die Rechten, die auf den Straßen gehen, sie sind bereit zum Kampf. Ich kenne junge Menschen, die aus der Minderheit, die zur Minderheit gehören, der Siniti und Roma, die nur noch geschlossen mit vielen anderen in die Stadt abends gehen, weil sie sonst Angst haben in bestimmten Städten, dass rechte Gruppierungen kommen und sie verschlagen. Also der Holocaust, der Porajmos hat uns etwas gelehrt, dass wir wachsam sein müssen. Da ist der Dialog natürlich ganz besonders gefragt. Und das wünsche ich mir. Und das wünsche ich mir vor allem von denen, die das Sagen haben in unserem Land. Die Regieren, die wir ja eigentlich gewählt haben, Da erwarte ich einfach, dass da viel mehr getan wird. Und nicht Kürzungen hier und da. Das passiert jetzt gerade. Kürzungen für gute, wunderbare Projekte, die Aktivistinnen und Aktivisten einfordern und die sie dann machen als Empowerment-Arbeit eben gegen das Vergessen, für eine bessere Zukunft, für ein besseres Miteinander, das hier dann gespart und angespart wird an der falschen Stelle.
Clara Frysztacka: Bei dir Miriam, Wie würdest du auf die große Frage der Vision des kollektiven Erinnerns in die Zukunft in Deutschland antworten?
Mirjam Wenzel: Erstmal, ich bin sehr skeptisch, was den Begriff des kollektiven Erinnerns angeht. Das möchte ich ganz klar sagen. Ich finde, Erinnerung ist eine Praxis und es gibt ein Gedächtnis. Und das Gedächtnis, da gibt es sicherlich Prozesse der Kollektivierung, zu denen tragen auch wir institutionell bei. Aber Erinnerung ist eine Praxis und sie wird in Teilen kollektiv praktiziert. Es gibt Erinnerungskollektive, aber es muss darum gehen, um Erinnerungspraktiken in Zukunft, die inklusiv sind. Und zwar inklusiv vor dem Hintergrund der verschiedenen Erfahrungen, die wir haben und die verschiedenen Narrative, Schmerzen und Perspektiven, die wir in uns tragen. Ich glaube, das ist meine Vision und ich wünsche mir einfach einen Diskurs und eine Auseinandersetzung, die nicht die Erinnerung an die koloniale Gewalt ausspielt, gegen Erinnerung an das Menschheitsverbrechen von Shoah und Porajmos und Nationalsozialisten, sondern die einfach es möglich macht, Menschen mit verschiedenen Hintergründen sozusagen gegenseitig die Gewalterfahrung und deren Nachwirkungen in den eigenen Familien, in der eigenen Psyche anzuerkennen, die aber gleichzeitig darauf zielt, Verantwortung zu übernehmen, und zwar Verantwortung als mündige Bürger in einer Demokratie, weil darauf wird es in Zukunft ankommen. Wir leben in Zeiten, wo zunehmend alle Demokratien sich durchsetzen, es wird in Zukunft darauf ankommen, einzustehen für demokratische Werte von Freiheit, von der Würde des Menschen, von respektvollen Auseinandersetzungen. Und ich wünsche mir eine Praxis des Erinnerns, die inklusiv ist, die alle an diese Verantwortung gemahnt und diese Verantwortung zu nehmen und unsere Demokratie aktiv zu gestalten und Resilienz zu machen gegen autoritäre Bestrebungen. Das wäre meine Vision für die Zukunft.
Lukasz Tomaszewski: Vielen Dank euch beiden für eure Zeit, für dieses tolle Gespräch. Anita Awosusi und Miriam Wenzel, ein wirklich super spannender Aufschlag für die Kick-Off-Folge von Wir erinnern, dem erinnerungspolitischen Podcast der Heinrich Böll Stiftung.
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